Der Titel hört sich eigenwillig an. Was hat eine Bauglasschule in Wittenberge mit einem Forsthaus zu tun?
Vor ein paar Tagen sah ich dieses Foto, das in verschiedenen Bilddatenbanken als „Bauglas Schule Wittenberge“ beschriftet ist und 1970 von Eugen Nosko aufgenommen wurde.
Eigentlich hat es mich gar nicht weiter interessiert. War halt ein schönes Haus irgendwo in Wittenberge, vermutlich eine Forstschule (bei entsprechender Vergrößerung kann man „Forstwirtschaft – Jagdwesen“ an der rechten Seite lesen weshalb diese Vermutung aufkam). Aber weder in Wittenberge noch in Wittenberg kannte jemand dieses Haus noch eine Forstschule oder Bauglasschule.
Fall als weiterhin unbekannt erledigt möchte man denken, aber als ich mir die anderen Bilder der Serie so ansah, kam mir das achteckige Gebäude im Hintergrund irgendwie bekannt vor, das man auch noch auf einem anderen Bild sieht.
Denn so ein achteckiger Bau steht in Rostock Schutow auf dem ehemaligen Messegelände, das von 1966 bis 1975 für die Ostseemesse genutzt wurde. Aber kann das sein das dieses Gebäude auch dort steht, zumal mir die anderen Bauten auf den Bildern auch merkwürdig bekannt vor kamen und durchaus auch Messegebäude in Rostock Schutow hätten sein können? Das die Bilder falsch kategorisiert waren stand zu diesem Zeitpunkt schon fest.
Nachdem ich mir die Bilder und mögliche Perspektiven bei Google-Earth (alternativ bei Google-Maps betrachten) und den Schrägbildern von Bing-Maps ansah war ich mir sicher, das Haus war auf dem Messegelände in Rostock-Schutow und auch den möglichen Standort konnte ich auf den Luftbildern beider Dienste ausmachen.
Aber dann packte mich auch die Neugier, wie das Haus so heute aussah. Außen am Gelände fahre ich ja schließlich oft genug vorbei, auch wenn ich da schon ewig nicht mehr drauf war (wenn man mal von den neu errichteten Verkaufseinrichtungen einmal absieht).
Gefunden war das Haus schnell
und wenn man darauf achtet erkennt man viele typische Elemente des Hauses noch heute, wie z.B. die typische Form des Daches.
An den vertikalen heute roten Holmen war früher einmal die markanten Glasabdeckung montiert. Da das Haus aber heute als Bürogebäude genutzt wird, hat man diesen Überbau irgendwann einmal entfernt und normale Fenster eingesetzt. Und wenn man genauer an die Klinkerwand schaut sieht man noch die Stellen an denen der Schriftzug „Forstwirtschaft – Jagdwesen“ angebracht war.
Als ich da so am Sonnabend beim Fotografieren des Hauses war, wurde ein Passant auf mich aufmerksam von dem ich dachte, er würde dort nur sein Auto parken um in einem der anliegenden Möbelhäuser einzukaufen. Aber wie es der Zufall will arbeitet er in dem Haus und hatte sich auch schon über die roten Holme gewundert. Genannt wird dieses Gebäude von den Mitarbeitern „Forsthaus“. Meine Vermutung ist, das in dem Haus während der Ostseemesse die Ausstellungen der Forstwirschaft der DDR stattfanden weshalb dieser Name entstand. Im inneren des Hauses (ich konnte es nicht besichtigen) soll auch noch die Raumaufteilung an den früheren Messebetrieb erinnern.
Es kann durchaus sein das dieses Foto der alten Serie im inneren des Hauses entstand, denn es zeigt die Forstwirtschaft:
Nur die Blickwinkel die Eugen Nosko 1970 hatte ich heute nicht mehr ganz so. Zum einem weil zu viele Bäume den Blick versperren, zum anderen weil auch andere Gebäude in den letzten 40 Jahren errichtet wurden (wie ein Anbau an der heute als Möbelverkaufshaus genutzten Halle), rechts außerhalb des Bildes ist das „Forsthaus“:
und heute
Große Teile des ehemaligen Messegeländes sind seit 35 Jahren im Dornröschenschlaf. 1975 wurde beschlossen die Ostseewoche und damit auch die Ostseemesse ab 1976 nicht mehr durchzuführen., da man meinte die „politischen Ziele – die internationale Anerkennung der DDR sind erfüllt“.
Danach wurden einige Hallen als Verkaufseinrichtungen umfunktioniert (der IFA-Handel hatte dort seine zentrale Verkaufseinrichtung für Autoersatzteile und die Auslieferung von Neuwagen erfolgte auch dort). Große Teile des Freigeländes und einige große Hallen wurden vom VEB Kraftverkehr „Ostseetrans“ als Abstellplatz und Werkstätten für Busse und LKWs genutzt. Das als Messeleitung beschriftete Haus wurde vom VEB Kraftverkehr als Verwaltungsgebäude genutzt, der später (als man mehr Räume für die Kombinatsleitung brauchte) auch einige Baracken an der Stelle errichtete wo heute der „Max Bahr“ Baumarkt ist. Andere Hallen dienten als Lagerfläche u.a. für Getreide (in den Hallen in denen heute der Domäne-Markt ist).
Ein Messebetrieb fand nur noch sehr eingeschränkt für die „Messe der Meister von Morgen“ statt. Diese fand in der Regel in einem Teil der Halle statt die heute für den Domäne-Markt genutzt wird sowie in der heute als Autohaus genutzten Hyparschale.
Auch nach 1990 wurde für das Gelände keine richtige Nutzung gefunden und einen entsprechend trostlosen Eindruck macht insbesondere das Freigelände weitestgehend auch heute. Die vom Kraftverkehr genutzten Hallen und Gebäude stehen weitestgehend leer und sind dem Verfall preisgegeben.
Einige Hallen werden heute noch für den Handel genutzt, andere Teile wurden mit einem Baumarkt und der ehemalige Parkplatz für die Ostseemesse mit einem IKEA-Markt bebaut. Für den Messebetrieb wurde von der Stadt Rostock eine neue Messehalle in Rostock-Schmarl für die IGA 2003 gebaut, so das auch kein Messebetrieb mehr auf dem Gelände stattfinden wird. Aus dem VEB Kraftverkehr „Ostseetrans“ wurde der ÖPNV-Busbetrieb herausgelöst und firmiert heute als „Küstenbus“, der in Bad Doberan einen neuen Betriebshof errichtete. Nur ein Grundstück hat Küstenbus dort noch heute im Angebot, das mit einem schönen modernen blauen Zaun gesichert ist – passend zum weiß-blauen CI des Unternehmens. Dieser Zaun ist wohl die einzige Investition die auf dem ganzen Gelände in den letzten 20 Jahren stattfand.
Da sich Eugen Nosko 1970 für einige Gebäude auf dem Messegelände interessierte, mache ich einen Vergleich damals heute. Da die Bilder von ihm mit „Bauglas“ beschriftet sind und als Auftraggeber der „VEB Werk für Technisches Glas Ilmenau“ genannt wird liegt nahe das er als Industriefotograf für diesen Betrieb unterwegs war, besonders wenn man sich seine Bilder des Jahres 1970 so ansieht (die Bilder aus Rostock sind im unteren Teil der Auflistung). Und das „Schule Wittenberge“ in der Beschriftung das Bilder das der Auslöser für diese Spurensuche war, war vielleicht ein Hinweis für seinen Auftraggeber das diese Bilder eine Schule in Wittenberge haben wollte oder so ähnlich.
Markant ist da z.B. dieser achteckige Bau, der m.W. als Gaststätte für die Ostseemesse genutzt wurde.
Später waren dort m.W. Büros des Datenverarbeitungszentrums untergebracht und im Anbau eine Kegelbahn. Nach 1990 wurde das Untergeschoß als Verkaufseinrichtung eines E70-Elektromarkts. Seit ein paar Jahren steht das Gebäude ungenutzt leer.
Vor der Halle sieht man auch noch die alten für die DDR typischen Stromverteilerkästen, die man auch auf einigen alten Aufnahmen sieht.
Hinter diesem Bau stand früher ein Fischkutter, der als Gaststätte genutzt wurde. Aber dieser ist vor etlichen Jahren verschwunden.
Die Halle daneben wird noch heute als Verkaufseinrichtung für Möbel genutzt.
Die Möbelhalle bekam in späteren Jahren einen Anbau und daneben ist wieder das „Forsthaus“ zu sehen.
Nördlich der Möbelhalle kann man noch heute den ehemaligen Nordeingang zum Messegelände mit Kassenhaus sehen. Ein ähnlicher Bau stand auch am westlichen Eingang, der aber vor ein paar Jahren abgerissen wurde.
Neben der achteckigen E70-Halle ist ein seit etlichen Jahren nicht mehr betriebener Brunnen. Daneben stand auch noch eine kleine Hyparschale, die aber vor Jahren abgerissen wurde.
Östlich vom Brunnen war eine Messehalle die später als Handelseinrichtung für den Verkauf von Fernsehern und Radios (RFT) sowie von Heimtextilien genutzt wurde. Man sieht hier noch schön die Glasfassade. Heute wird sie als Lagerhalle sowie für eine Weiterbildungseinrichtung genutzt.
Eugen Nosko fotografierte auch den Eingangsbereich einer Halle im südlichen Bereich.
Bei allen vier Bildern dürfte es sich um die gleiche Halle handeln. Sie wurde später für den IFA-Vertrieb als Verkaufseinrichtung für Kfz-Ersatzteile genutzt. Heute ist sie ein Möbellager und Warenausgabe für „Domäne“.
Zu guter Letzt sei noch der ehemalige Haupteingang zur Ostseemesse mit den Kassenhäusern gezeigt. Daneben stand bis vor ein paar Jahren noch das „Motel“, das während der Ostseewoche als Gaststätte genutzt wurde. Es wurde abgerissen und stattdessen ein Markt für Fahrräder und Tierbedarf errichtet. Der Baustil des Motels war ähnlich wie der des heute noch stehenden Hauses der Messeleitung. Auf dem Dach des Motels und später daneben war eine goldene Kugel „20 Jahre DDR“, die irgendwann einmal verschwand. Ein Teil des Haupteingangs auf der Seite des Neubaus wurde für diesen abgerissen.
Ein paar historische Aufnahmen konnte ich aber nicht auf dem Messegelände verorten. Es sind die Bilder mit dem Haus das Souvenierverkauf 1970 genutzt wurde. Wegen des Springbrunnens im Vordergrund hätte ich auf dem Anbau des achteckigen E70-Hauses getippet (andere Springbrunnen sind mir nicht bekannt). Dieses kann aber wegen der übrigen Gebäudeform nicht sein. Aber ein anderer Springbrunnen ist mir auf dem Gelände auch nicht mehr bekannt.
Wollen wir hoffen das das Gelände der Ostseemesse wieder aus dem Dornröschenschlaf erwacht und das die alten Gebäude eine Weiternutzung in der heutigen Zeit finden und nicht zu viele Neubauten weichen müssen.
Alle historischen Bilder wurden 1970 von Eugen Nosko aufgenommen und stammen aus der Deutsche Fotothek. Die übrigen Bilder wurden von mir am 10. April 2010 aufgenommen.
Hallo Kai, da sind wir wohl fast zur gleichen Zeit mit dem Fotoapparat über das Gelände gestapft. Nach Ansicht der gesamten Bilder konnte es nur das Messegelände in Schutow sein. Danke für deine gründliche Recherche und Aufarbeitung.
Schiwago
Hallo, ich danke für die Recherchen. Schön, dass durch die Vernetzung mehrerer Diskussionsorte im Internet dieses Rätsel gelöst werden konnte. Viele Grüße..
Hallo!
Bei der Sichtung der Bilder des Jahres 1970 des Herrn Nosko fällt mir auf, daß teilweise ein- und dasselbe Gebäude zeigende Aufnahmen einmal als „Bauglas Messehalle Rostock“ und dann als „Bauglas Schule Wittenberge“ beschriftet sind und dann auch noch als „Bauglas Messe(halle) Halle“. Da ist ja einges durcheinander geraten. Ob der Souvenierladen überhaupt nach Rostock gehört? Und in Wittenberge gabs bestimmt auch irgendwo eine Schulturnhalle mit den dort allgegenwärtigen Glasfronten.
Entweder kam die Beschriftung durcheinander oder wir interpretieren sie heute falsch.
Die Bilder des Souvenierladens sind als „Bauglas Messehallen Rostock“ in der Bilddatenbank beschriftet. Das hat natürlich nichts zu sagen wie man an „Wittenberge“ sah. Aber warum soll an der Stelle der Ortsname auch wieder falsch sein, zumal diese Bilder bei der gewählten Sortierung nach Dateinamen (was vermutlich die Reihenfolge ist in der sie in der „analogen“ Sammlung waren) mitten zwischen den Bildern vom Rostocker Messegelände sind?
Es kann natürlich sein das es in Wittenberge auch Turnhallen oder Industriebauten mit Glasfassaden gab. Wegen Details im Hintergrund der Bilder würde ich aber alle als mit „Schule Wittenberge“ beschrifteten Bilder nach Rostock-Schutow verorten.
Genial, ich liebe Rätsel ja ohnehin, aber so eine Lösung – fast möchte man sagen „Glückwunsch!“ 😉 Zumindest Danke dafür, dass die Grübelei nun ein Ende hat.
Das war ja ein gute detektivische Arbeit. Glückwunsch auch von mir. Ich hatte ja auch eine Weile gerätselt, wo die Bilder aufgenommen wurden. Wenn ich auch den nördlichen Teil der DDR für sehr wahrscheinlich hielt, wäre ich wohl doch nicht auf Rostock gekommen.
Hallo Kai,
für „Bauglas Wittenberge“ habe ich einen Verdacht – der allerdings auf Wittenberg geht: Anfang der 1970er Jahre wurde das Stickstoffwerk Piesteritz um ein Nordwerk erweitert. Dort stehen auch zwei sehr große Harnstoffhallen. Diese haben an den Stirnseiten genau diese Verglasung.
Mt
Sehr einfallsreich geschrieben. Bravo!
Hallo, dieses Wasserbecken befand sich hinter dem Gebäude der Messeleitung in Richtung Messetage Café der deutsch polnischen Freundschaft. Weitere Wasserspiele befanden sich auf der Grünfläche rechts in Richtung Domäne sowie zwischen dem Autohaus und der ehemaligen IFA Halle dieses Wasserspiel war einem Wasserfall nachgestaltete sollten noch fragen sein
Die Kegelbahn war früher eine Asphaltbahn und wurde später durch den VEB Schiffselektronik als Patenteren von Evershagen für ihre Betriebssportgruppe errichtet
M f G Olaf Suhr